Growth Mindset - Der Weg zum digitalen Arbeitsplatz

1. April 2020
Pascal Grossniklaus
Gründer & CEO

Der digitale Arbeitsplatz wird in Schweizer Unternehmen zunehmend gelebte Praxis. Wie genau sieht er jedoch aus und was ist beim Weg in die New World of Work zu beachten? Pascal Grossniklaus, CEO bei ahead und Partner bei isolutions, sprach mit Persorama über die Einführung und die damit verbundenen Hindernisse sowie Vorteile des digitalen Arbeitsplatzes.

Das ganze Interview


Was macht einen modernen, digitalen Arbeitsplatz aus?
Drei Faktoren spielen eine zentrale Rolle: der physische Raum, in dem Mitarbeitende in verschiedenen Rollen tätig sind, die Technologie (Hard- und Software) und die Kultur – also, wie Menschen miteinander zusammenarbeiten und kommunizieren.

Was ist wichtiger, wenn wir über New Work diskutieren: Technologie effizient einsetzen oder eine neue Arbeitskultur? 
Es ist vor allem eine Kulturfrage, denn die digitale Transformation ist keine unkontrollierbare Naturgewalt, sondern ein vom Menschen getriebener Veränderungsprozess. Das heisst: Wir können uns entscheiden, wohin die Reise geht. Es ist ein Prozess, der die gesamte Organisation betrifft.

Hat sich dieses Bewusstsein in der betrieblichen Praxis schon durchgesetzt? 
Wir stellen fest, dass die meisten Anfragen von Kunden über die Technologie kommen, also die IT-Abteilung Budget für ein Projekt hat, etwa ein Social Collaboration-Tool wie Microsoft Teams einzuführen, und an uns mit einem Anforderungskatalog herantritt. Schnell bemerken die Beteiligten: Die technischen Herausforderungen kann man meistern. Doch eine neue Arbeitsweise im Unternehmen umzusetzen, ist auch ein emotionales und kulturelles Thema, weil bisherige Arbeitsweisen und Prozesse sich doch stark verändern.

Können Sie Beispiele nennen?
Es kann um so einfache Dinge gehen wie eine gemeinsame Dateiablage in der Cloud einzuführen. Die Kultur verändert sich dann von «Push» zu «Pull» – jeder Mitarbeitende ist aufgefordert, selbst aktiv auf dieser Plattform zu sein und die für ihn bestimmten Informationen regelmässig abzuholen; der Austausch per E-Mail oder Telefon reduziert sich deutlich. Generell erfordert New Work mehr Transparenz, Beteiligung und Flexibilität. Diese neue Offenheit ist ungewohnt und nicht für jeden Mitarbeitenden angenehm. Es braucht daher gezielte Massnahmen der internen Kommunikation und Weiterbildung, eine neue Kultur des Arbeitens voranzutreiben. Und insbesondere Führungskräfte müssen die neue Kultur vorleben. Wir schlagen unseren Kunden vor, eine Dokumentenablage nach dem Öffentlichkeitsprinzip zu führen. Üblich ist bisher bei Dokumenten eher das Verschlussprinzip. Doch Social Collobaration kann nicht nach Verschlussprinzip funktionieren.

Aber tangiert das die Sicherheitsinteressen eines Unternehmens und den Datenschutz?
Sie können klar definieren, was vertraulich ist und sein muss - zum Beispiel Personal- und Kundendaten, strategisches Wissen, Finanzdaten oder Patente. Nach unserer Erfahrung müssen nur etwa zehn Prozent der Daten in einem Unternehmen wirklich vertraulich sein. Der Rest kann innerhalb definierter Teams oder Bereiche offen sein. Das setzt natürlich auch Vertrauen in die Mitarbeiter voraus.

Wie kann eine Führungsperson Vorbild sein?
Indem sie zum Beispiel in internen Medien oder auch auf Social-Media-Kanälen mit eigenen Kommentaren und Beiträgen zu Führungsthemen sichtbar wird. Dann wird das Tool auch ernst genommen. Oder ein CEO muss jetzt nicht mehr E-Mails mit Anhang versenden, sondern könnte in Microsoft Teams oder Slack gehen, dort eine Chat-Nachricht schreiben mit einem Link für weitere Informationen. Leadership in New Work heisst, einen Growth Mindset im Unternehmen anzuregen und vorzuleben.

Das heisst, ein CEO oder eine Person aus dem obersten Führungskader sollte Transformationen anstossen?
Ja, das kann nicht von irgendeinem Gremium ohne Entscheidungskompetenz kommen, sondern muss von der Geschäftsleitung ausgehen. Die Führungspersonen sind im Idealfall offen und bereit, die erforderlichen Veränderungen umzusetzen und sich dabei persönlich zu engagieren. Also gilt es, nicht nur Impulse an die Mitarbeitenden auszusenden, sondern die neue Art des Arbeitens selbst vorzuleben. Mit ihrem Vorbild prägen Führungspersonen die Kultur im Unternehmen.

Mit anderen Worten, mehr Agilität und Selbstorganisation durch einen Top-Down-Akt zu stimulieren? Ist das nicht ein Widerspruch?
Ich denke nicht. Top-down hat immer einen leicht negativen Beigeschmack. Aber es ist wichtig, dass übergeordnete und richtungsweisende Entscheidungen von der Geschäftsleitung kommen. Auch bei selbstorganisierten Teams muss klar sein, in welche Richtung es gehen soll. Die Mitarbeiter brauchen Orientierung, damit sie wissen, wofür sie arbeiten. Und das Management hat immer noch die Verantwortung für die gesamte Organisation. New Work heißt auch nicht, dass jeder machen kann, was er will, sondern bedeutet: klare Struktur und definierte Aufgaben oder Rollen.

Wie gelingt die Umstellung auf agil und selbstorganisiert am besten?
Da gibt es kein generelles Rezept. Das kommt immer auf die Grösse und digitale Maturität einer Firma an. Es gibt Firmen, die wechseln mit 300 Leuten von einem Tag auf den anderen ins agile Arbeiten. Bei anderen dauert ein solcher Prozess Monate. Wieder andere stellen sich hybrid auf – also lassen bestimmte Bereiche klassisch-hierarchisch arbeiten und haben für bestimmte Projekte agile Teams. Generell empfehlen wir, nicht zu lange in der Konzeptphase zu verharren, und alles bis ins Letzte zu spezifizieren. Es macht Sinn, erst Werte und Ziele festzulegen und zu überlegen, wie diese zu erreichen sind. Und dann ins Experimentieren zu gehen, um Schritt für Schritt Dinge auszuprobieren, zu lernen und dann stetig zu verbessern.

Experimentieren ist also ein wichtiges Thema?
Auf jeden Fall. Denn das ist die einzige Möglichkeit für Unternehmen, sich heute zu entwickeln. Keiner von uns ist ein Experte für das, was kommen wird. Wir brauchen also ein Bewusstsein der Offenheit in Unternehmen: Wir lernen gemeinsam etwas Neues. Und eine neue Kultur kann nur im echten Leben entstehen. Man kann so etwas nicht einfach überstülpen. Dazu braucht es Mut und Risikobereitschaft sowie eine neue Fehlerkultur - also ein Umfeld, in dem Fehler machen kein Drama ist, sondern eine Chance, daraus zu lernen und es beim nächsten Mal besser zu machen. So wird jeder zum Pionier.

Was ist dabei die grösste Herausforderung?
Experimentieren bedeutet auch: Keiner von uns weiss 100-prozentig, wie das jetzt funktioniert und was die beste Lösung ist. Das ist mit Ungewissheit verbunden. Die Ungewissheit auszuhalten, gehört nach meiner Erfahrung zu den grössten Hürden der Transformation. Immerhin: Veränderungen in Unternehmen im Umfang wie die digitale Transformation gab es in den vergangenen Jahren kaum.

Wie kann die interne Kommunikation dies bestmöglich begleiten?
Es gibt CEOs, die sich zum Start von solchen grundlegenden Veränderungen in einem Video an ihre Mitarbeitenden wenden mit der Botschaft: «Wir lernen zusammen» – ihnen also vermitteln, dass sich das Unternehmen in einer Phase der Veränderung befindet und daher nicht immer alles rund läuft. Und dann appellieren, dass sich alle auf diesen Prozess einlassen und einander stützen, damit es gut kommt. Wichtig bei einer solchen Kommunikation ist, dass diese authentisch ist. Generell ist unser Eindruck, dass interne Kommunikation noch zu wenig ernst genommen wird. Dabei kann sie Kulturbildung in Unternehmen sehr unterstützen mit Offline- und Online-Medien. Bei Isolutions nutzen wir «ahead» als Social Intranet als internen Informationskanal und können so gemeinsam unsere Arbeitskultur leben und auch sichtbar machen.

In welcher Rolle sehen Sie HR?
Wir erleben oft, dass eine neue Software oder professionelle Collaboration-Tools im Unternehmen eingeführt werden sollen und dann schnell ein IT-Projekt gestartet wird. Die HR-Profis organisieren dann als eine Art Beifahrer auf dem Rücksitz die Mitarbeiterschulung und fühlen sich oft gar nicht wirklich verantwortlich. Eigentlich sollte es andersherum sein.

Wie genau?
Es müsste sich in Unternehmen vor Lancierung einer solchen Veränderung ein gemischtes Gremium aus Führungskräften bilden, die gemeinsam eine Vision für das Unternehmen entwickeln, bevor Technologie und Massnahmen definiert werden. Und HR hat aus meiner Sicht eine Führungsrolle, über die Veränderung der Arbeitsumgebung ein attraktives Umfeld für Talente zu schaffen, das gute neue Mitarbeitende anzieht. Die junge Generation will anders arbeiten!

Oft ist das Kostenargument ein sehr wichtiges für Veränderungen. Auch HR ist davor nicht gefeit ...
Mehr Effizienz in der Entscheidungsfindung bei komplexen Themen zu erreichen, ist zwar ein sinnvolles Ziel, das in der Regel zu besseren Ergebnissen führt. Aber wenn das primäre Ziel von New Work darin besteht, mit neuen Tools, Freiräumen oder agileren Teams Kosten zu sparen, funktioniert das unserer Erfahrung nach eher schlecht. Und wir wissen: Wenn solche Forderungen nach "Kostensenkung" kommen, hat das Management meist noch nicht verstanden, was New Work und digitale Transformation im Kern bedeutet. Oft haben sie sich auch noch keine Gedanken über die Veränderung der Arbeitskultur gemacht. Wir stellen fest, dass der emotionale und kulturelle Faktor grob unterschätzt wird.

Was bedeutet also New Work? 
Wer zum Beispiel mehr Agilität und Selbstorganisation will, muss als Führungskraft auch akzeptieren, dass flache Hierarchien das Ergebnis sind, also Kaderpersonen an Macht und Einfluss verlieren und Mitarbeitende mehr Autonomie und Mitsprache erhalten. Das gilt es zu verstehen und dann zu experimentieren, wie die bisherige Arbeitskultur im Unternehmen verändert werden kann, damit die Zusammenarbeit möglichst effizient geschieht. Ein neues Raumkonzept mit weniger Einzelbüros und mehr Zonen für Begegnung und Austausch kann dies fördern; das alleine ist aber nicht genug.

Verwandte Blog-Einträge